„Sehen Sie den Fluss? Er bildet die Grenze zwischen Maharashtra und Gujerat. Welcome to the Land of Narendra Modi!“. Auf der einen Seite trockene, braungebrannte Landschaft; auf der andern grüne Felder, Bewässerungskanäle.
Der Bekannte, der im Flugzeug gesessen war und mir davon erzählte, war einer der vielen globalen Inder, denen man in Bombay immer wieder über den Weg läuft, erfolgreich, aufgeschlossen. Doch dann ging das Gespräch nicht wie erwartet weiter. Es sei phänomenal, was Modi erreicht hat, hörte ich. „Deutlicher könnte man den Unterschied zur Kongressregierung in Maharashtra nicht ausdrücken“. Auf der einen Seite des Flusses Armut wegen Korruption, auf der anderen gute Regierungsführung, Disziplin, wirtschaftliche Entwicklung. Noch vor zwei Jahren wäre ein Nachsatz gekommen, etwa: „Aber kann man Modi seine Verbrechen verzeihen, weil er wie ein Diktator Ordnung in seinen Staat bringt? Nein!“.
Heute nicht mehr. Stattdessen: „Ist es nicht ebenfalls ein Verbrechen, was der Kongress tut – Armutsgelder abzuzweigen, Menschen hungern, Krankenhäuser verlottern zu lassen? Dagegen Narendra Modi: Seit den Pogromen von 2002 gab es keine einzige Ausschreitung gegen Muslime mehr. Stattdessen macht er aus Gujerat einen Musterstaat!“.
Hoffnungsträger
Was ist geschehen, dass selbst liberale Inder ‚NaMo‘-Fans geworden sind? Ist es das PR-Talent des Chefministers, der über Twitter und Facebook, mit PR-Agenturen und Medienkontakten, in Gujerat und nun ganz Indien eine solche ‚Meinungsführerschaft‘ errungen hat, dass er als BJP-Kandidat für das Premierministeramt als gesetzt gilt?
Inzwischen hat er eine derartige ‚Message Control‘ etabliert, dass er in den täglichen Tweets, den medial gestreuten kleinen Geschichten, den Erfolgsstatistiken nie als Quelle dieser Kampagne auftritt, sondern als der neue Hoffnungsträger und unschuldiges Opfer von Verleumdung und Schmäh. Modi selbst tritt nur in sorgfältig ausgewählten Foren auf, um dieser Maschine die Nahrung zu geben, von der Freund und Feind dann wochenlang zehren. Er ist ein begnadeter Redner, der alle rhetorischen Tricks spielen lässt – leise und bedächtig, laut und peitschend, ironisch fragend oder höhnisch lachend.
CEO von Gujerat
Es wäre unfair – und gefährlich – den Aufstieg Modis zur nationalen Erlöserfigur nur als Resultat einer brillanten Politkampagne zu erklären. Denn die jüngste Welle wurde vom unbestechlichsten Schiedsgericht ausgelöst, das eine Demokratie bietet – eine Volkswahl. Das Verdikt war eindeutig: Im letzten Dezember wählten ihn die Gujeratis mit fliegenden Fahnen zum dritten Mal hintereinander ins Amt.
Der Erfolg war zudem nicht nur das Geschenk einer bereits hochgradig fanatisierten Hindu-Mehrheit. Gujerat ist ein rasch wachsender Bundesstaat, Geschäftsleute sind voll des Lobs über die kurzen Entscheidewege bei Investitionen, die Infrastruktur ist die modernste des Landes, die Städte sind (relativ) sauber. Bereits vor sieben Jahren war ich einmal Zuhörer einer Telefonkonferenz zwischen Modi und einem Dutzend Distriktmagistraten. Zwei Stunden lang fragte er sie über den Stand einer Impfkampagne aus, verlangte Zahlen, setzte Zielpunkte, zog Schusslichter zur Rechenschaft, schon damals ganz der ‚CEO von Gujerat‘.
Kein Wort des Bedauerns
Modi hat seine hasserfüllte antimuslimische Rhetorik gezügelt. Das gebietet die Strategie. Denn will er im religiös und sozial diversifizierten Indien Wahlen gewinnen, muss er die Blutflecken der Pogrome entfernen. Über seinen Schatten will er aber keineswegs springen. Er will allein mit der guten Regierungsführung und wirtschaftlichen Leistungen punkten, nicht durch ‚Appeasemen‘ der Muslime. Kein Wort des Bedauerns über die Ausschreitungen ist in den elf Jahren über Modis Lippen gekommen. Selbst als er im November 2011 in einer sorgfältig orchestrierten ‚Aussöhnung‘ vor laufenden Kameras die Huldigung einiger Muslime entgegennahm, setzte er die Namaste-Geste der gefalteten Hände zwischen sich und die Mullahs, um sich nicht von ihnen umarmen zu lassen.
“Less Government, more Governance“
Stattdessen segelt er auf dem Slogan, den die korruptionsgebeutelten städtischen Mittelklassen lieben: ‚Less Government, more Governance‘. Insofern ist die Kongressregierung Modis beste Wahlhelferin, hat sie doch mit ihren Armutsprogrammen vor allem eines getan – die eigenen Taschen gefüllt. In Gujerat dagegen beugen sich Politiker und Bürokraten Modis harter Führung. Niemand, so mein Gesprächspartner, macht in Ahmedabad mehr die hohle Hand, wenn Regierungsbewilligungen anstehen.
„Aber ist denn Bestechlichkeit die einzige Form von Korruption?“, fragte ich zurück. Wie steht es mit der willkürlichen Versetzung aufrechter Beamten, die sich damals gegen die Hindu-Brandstifter gewandt hatten; oder die gezielte Vernachlässigung von Hilfsprogrammen für Minderheiten? Ich habe selber gesehen, wie Modis Regierung bei der strafrechtlichen Verfolgung der religiösen Brandstifter Staatsanwälte einsetzte, die im Gerichtssaal offen mit den Angeklagten scherzten. Ihre Plädoyers waren bewusst so stümperhaft angelegt, dass viele Gerichtsfälle mangels Beweisen in Freisprüchen endeten. Das Oberste Gericht in Delhi verlegte besonders schwere Fälle schliesslich in andere Bundesstaaten.
Massakrierte Muslims
Ein Sondergerichtshof konnte Narendra Modi persönlich kein ‚gerichtstaugliches‘ Fehlverhalten nachweisen. Insofern gilt auch für ihn die Unschuldsvermutung. Dennoch bleiben Zweifel. Er, der auf seine eiserne Kontrolle von Regierung und Partei so stolz ist, soll nicht gewusst haben, dass seine eigenen Minister Hindu-Mobs in muslimische Wohnsiedlungen führten und deren Bewohner massakrierten? Eine ehemalige Ministerin, Maya Kotnani, ist dafür zu lebenslanger Haft verurteilt worden; ein ehemaliger Innenminister (und noch heute Modis engster Vertrauter) ist angeklagt, Todesschwadronen der Polizei gegen unschuldige Muslime ausgesandt zu haben.
Indiens Muslime haben dies nicht vergessen. Ein Bevölkerungsanteil von 15 Prozent ist im Majorz-Wahlsystem ein handfester Trumpf, mit dem sie bei der nächsten Parlamentswahl in einem Drittel der 535 Wahlkreise das Zünglein auf der Waage spielen könnten. Unsicher ist bloss, ob sie ihre Stimmen der Kongresspartei geben werden; diese hat sich auch in ihrer säkularistischen Ideologie längst korrumpieren lassen.
Ein Rivale, von Unbekannten ermordet
Aber auch Modis eigene Partei zögert, ihm ihr Vertrauen auszusprechen. Dabei spielt einmal die Angst mit, dass seine polarisierende Persönlichkeit der BJP wichtige Koalitionspartner kosten könnte – und ohne Koalitionen lassen sich in Indien keine Wahlen mehr gewinnen. Das Unbehagen gilt aber auch Modis uneingeschränktem Machtanspruch. Selbst die Hindu-Dachorganisation RSS, Modis ideologische Ziehmutter, vermisst Kadergehorsam. Wenn es um die Macht geht, sieht sich Modi als alleinige Referenzgrösse.
Das zeigt auch sein Verhalten gegenüber parteiinternen Rivalen. Ein ehemaliger Innenminister, dessen Wahlkreis Modi begehrte, wurde von Unbekannten ermordet. Selbst bei seiner Ministerin Maya Kotnani, einer Rädelsführerin von 2002, hat er nicht vergessen, dass sie einer rivalisierenden Parteifaktion angehört. Als sie zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde, legte ausgerechnet Modis Regierung Berufung dagegen ein – sie habe die Todesstrafe verdient, lautete ihr Antrag.
Droht Indien auf demokratischem Weg in eine faschistische Machtübernahme durch Narendra Modi zu schlittern? Wenig wahrscheinlich. Dafür sind die Inder viel zu stolz auf ihre Unterschiede. Und viel zu streitlustig und streitsüchtig.