Liebe verkleidet sich zuweilen, verbirgt sich hinter Masken und Schleiern, zieht die sonderbarsten Kostüme an. Das Inkognito der Liebe ist aber höchst gefährdet. Liebe will ans Licht, verlangt nach Anerkennung, will die Zustimmung der Umgebung. In totaler Verschwiegenheit verkommt und erstickt sie. Darüber wissen nicht nur Partnerinnen katholischer Priester spannende Geschichten zu erzählen. Wo Liebe sich nicht offenbaren darf, schleichen sich meistens Unehrlichkeit, Betrug und Verrat ein.
Verkleidungen
„Un ballo in maschera“ ist Verdis Oper der verkleideten, maskierten, tragischen Liebe, die sich nicht zu erkennen geben darf. Solche Liebe endet mit Verzicht oder Tod, es sei denn, wir sitzen in einer Komödie, wo verbotene Liebe fast immer als heitere Affäre oder als vergnügliches Missverständnis endet.
In der Oper „Ein Maskenball“ sind beinah alle einmal verkleidet. Riccardo, Graf von Warwick, Gouverneur von Boston, begibt sich als Fischer verkleidet zur Wahrsagerin Ulrica, um ihre Gabe des Voraussehens zu testen. Amelia, die Frau seines besten Freundes Renato, der den Grafen vor einem bevorstehenden Attentat warnen und schützen möchte, verschleiert sich vor ihrem Ehemann, um von diesem unerkannt nach Hause geleitet zu werden – was freilich nicht gelingt und zu einer tragischen Wendung führt.
Von „vermummten Absichten“ sind auch die Verschwörer Samuel und Tom geleitet, die Loyalität nur vortäuschen, um näher an ihr Opfer zu gelangen. Schliesslich der Maskenball selbst, das Fest der veränderten Identitäten, auf dem Renato seinen Freund, den er für den Verführer seiner Ehefrau hält, erdolcht, nachdem der Page Oscar ihm ungewollt verraten hat, in welchem Kostüm Graf Riccardo beim Fest erscheinen wird.
Hürden für Libretto und Uraufführung
Dieser Stoff, den Verdi zuerst für die Oper von Neapel vorgesehen hatte, dann aber für die Uraufführung nach Rom vergab, hatte es vor der Zensur schwer. Vorlage war ein Stück von Eugène Scribe, das der dichtende Jurist Antonio Somma zum italienischen Libretto bearbeitete.
Ursprünglich ging es um das Schicksal des schwedischen Königs Gustav III., der 1792 ermordet wurde. Doch konnte man um 1860 auf der Opernbühne in Italien oder in Frankreich einen Königsmord der jüngeren Geschichte zeigen? Undenkbar! So wurde – nach Erwägen auch mittelalterlicher Alternativen – aus dem schwedischen König ein englischer Graf, der als Gouverneur in Boston amtete.
Über die erste römische Produktion hat Verdi später einmal dem römischen Intendanten geschrieben: „Das Bellen der Hunde hätte ich den Tönen vorgezogen, welche die Sänger produzierten, die Ihr mir zur Verfügung gestellt habt!“
Die Oper ist musikalisch von der ersten bis zur letzten Note ein Juwel – man hat sie nicht zu Unrecht Verdis „Tristan und Isolde“ genannt. Die drei Hauptfiguren Riccardo, Amelia und Renato gehören zu Verdis dankbarsten Partien. Freilich auch zu jenen, an denen schlechte Sängergewohnheiten wie Schleifen, Schluchzen und Seufzen oft zu verheerenden Wirkungen führen.
Verrat am Freund
Die Liebesgeschichte von „Ein Maskenball“ erzählt, wie eine enge Freundschaft an den stürmischen Liebesgefühlen der Beteiligten zerbricht. Wo Leidenschaft im Spiel ist, zieht Freundschaft den Kürzeren. Zunächst wird vom Chor „die Liebe eines jungfräulichen Landes“ zum Herrscher der kolonisierten Provinz besungen. Damit ist Neuengland gemeint. Dazwischen melden sich mit Staccatobässen aber auch die Verschwörer.
Sobald Riccardo auf der Bühne erscheint, springt eine andere Liebe in den Vordergrund: Auf der Liste der zu einem Tanzabend geladenen Gäste findet er auch den Namen von Amelia. Er ist sogleich wie elektrisiert: Strahlend sei ihre Blässe, ihre Stimme sei wie reiner Liebesgesang. Der absolute Stern sei sie für ihn, der Himmel kenne keinen strahlenderen!
Seinem Freund Renato, der ihm die Botschaft konspirativer Machenschaften in seinem engsten Umkreis überbringt, gesteht er, eine bittere, geheime Sorge plage ihn. Renato warnt ihn, es scheine nur, dass das Leben dem Herrscher lächle: Rascher als die Liebe treffe der Hass seine Opfer!
Ein Beamter verkündet, die Wahrsagerin Ulrica solle wegen dunkler Machenschaften und ihres Bundes mit dem Teufel des Landes verwiesen werden. Der Page Oscar – ein heiter-naives „Alter Ego“ Riccardos – verteidigt die geheimnisumwitterte Frau, selbst wenn sie mit Lucifer verkehre. Der Graf beschliesst, als Matrose verkleidet die schwarze Magierin aufzusuchen. Der Besuch in lustiger Verkleidung in Ulricas Zauberhöhle soll alle Beteiligten erfreuen.
Düstere Prophetie
Mit drei dissonanten Orchesterschlägen, gefolgt von tiefen Streichern und einer raunenden Klarinette, wird die Atmosphäre des Unheils in Ulricas Höhle beschworen. Eulenschreie, feuerspeiende Drachen und Seufzer aus Gräbern braucht die Wahrsagerin, um die Zukunft zu deuten. Ein Teufelsbote erscheint, das Gesicht der Zukunft in seiner Linken. Jetzt kann dem Blick Ulricas – mit einer schaurig-schönen Altstimme „di razza nera“ – nichts mehr verborgen bleiben. Dem Matrosen Silvano sagt sie voraus, dass er bald reich sein und befördert werde. Riccardo hilft mit, sodass die Prophetie gleich in Erfüllung geht.
Amelia erscheint. Gibt es die richtige Musik für eine beklommene Seele? Wenn ja, hat sie Verdi für seine Amelia gefunden. Wir spüren die geheime bittere Sorge, die sie bedrängt und welche die Liebe zur Ursache hat. Sie will sich davon befreien und sucht darum Rat bei Ulrica. Eine Pflanze gebe es, in dunkelster Nacht müsse diese gepflückt werden, an entsetzlichem Ort, wo man die Verbrecher in Friedhofsnähe hänge. Allein mit dem Saft dieses „farmaco“ erreiche man das Vergessen der Liebesqualen.
Jetzt soll Ulrica auch dem verkleideten Grafen das Los voraussagen. Ob er als Matrose im Meer den Tod finde? Ob die Frau, von der er Abschied nehme, ihm treu sei oder ihn verrate? Nichts könne ihn erschrecken. „Nell’anime nostre non entra terror“ – die Seele eines Matrosen kennt keinen Schrecken. Als Ulrica dem Grafen aus der Hand liest, will sie zuerst nichts sagen. Doch dieser fordert von ihr eine klare Aussage. Er werde bald sterben, und zwar durch die Hand eines Freundes.
Ulricas Prophezeiungen seien nichts als Scherze und Wahnsinn, meint der Graf. In einem kunstvoll gebauten Ensemble, an dem Ulrica, Oscar, die Verschwörer und der Chor beteiligt sind und ihre unterschiedlichen Gefühle angesichts der Prophezeiung kundtun, findet das Erschrecken der Anwesenden über die düstere Voraussage seinen Ausdruck. Renato tritt auf und reicht seinem Freund die Hand. Die Wahrsagerin scheint widerlegt zu sein. Ulrica aber trotzt: Auch Ungläubige können dem Schicksal nicht ausweichen!
Verbotene Liebe tötet
Der zweite Akt spielt am erwähnten schaurigen Ort, wo die Pflanze des Vergessens gepflückt werden muss. Amelia erscheint, betet zuerst, sucht dann die Pflanze und singt eine der grossen Sopranarien der Oper, von der traurigen Weise eines Englischhorns sekundiert. „Was bleibt dir, wenn die Liebe verloren ist, was bleibt dir, mein armes Herz?“ Gott möge mit einem Herzen Erbarmen haben, das sich zerstören muss, da es nicht lieben darf.
Dieses „Miserere d’un povero cor, o Signor“ gehört zu Verdis schönsten melodischen Einfällen und seinen ergreifenden Schilderungen von verzweifelter Aussichtslosigkeit. Riccardo erscheint und das Bekenntnis gegenseitiger Liebe folgt: „Weisst du nicht, wie Gewissensqualen mein Herz zerfleischen?“ Nächtelang habe er gerungen, doch ohne sie könne er nicht leben. Sein Leben, das Universum, alles will er hingeben für ein einziges Wort: dass sie ihn liebe.
Von einer hinreissend schwärmerischen Melodie der Celli angeführt, gesteht Amelia: „Ebben sì, t’amo“. Nie mehr soll der Morgen grauen nach diesem Augenblick, wünscht sich Riccardo. Amelia ahnt, dass diese verbotene Liebe nur im Tod enden kann. Sterben will auch sie, denn nur der Tod kann solcher Liebe Erfüllung geben.
Die Parallelen zum zweiten Akt von Wagners „Tristan und Isolde“ sind in dieser Szene mehr als verblüffend. Zu bedenken ist, dass Wagners Oper erst ab 1865 auf den Bühnen der Welt zu hören war. Verdi hat gerade für diesen zweiten Akt eine musikalische Ausdrucksform gefunden, die wie kaum anderswo gegenseitige ekstatische Hingabe ausdrückt. Dies immer eingebettet in der tragischen Gewissheit, dass für solche Erfahrungen zwar der einzelne Augenblick, nicht aber das fortdauernde Leben taugt.
Das Verhängnis nimmt seinen Lauf
Die Schlussszene der Oper mit der Ermordung Riccardos wird klären, dass Renato durch die Liebe des Grafen zu seiner Amelia in keiner Weise entehrt wurde. Der Graf ringt sich durch, auf Amelia zu verzichten, er will Renato und seine Frau zurück nach England schicken. Die Bedürfnisse des Herzens will er verzichtend ersticken. In der Abschiedsarie „Ma se m’è forza perderti“ (Wenn ich gezwungen bin, dich zu verlieren) gesteht er, sein Sehnen werde immer bei ihr sein, unter welchem Himmel sie auch weile.
Der Ballabend wird für ihn die letzte Stunde ihrer Gegenwart sein. Die Verschwörer planen den Anschlag, ein vom Pagen überbrachter Zettel einer unbekannten Frau warnt den Grafen. Renato erlistet sich unter dem Vorwand, eine wichtige Botschaft für den Grafen zu haben, die Kenntnis, in welchem Kostüm Riccardo auf dem Ball erscheint. Der Ball beginnt, Verdi schreibt einen verführerisch langsamen Tanz dafür, in welchem die kostümierten Figuren aufeinander zu und aneinander vorbei gleiten.
Riccardo erkennt Amelia gleich, trotz ihres Kostüms. Da gesteht sie ihm nochmals ihre Liebe, bittet ihn aber, sofort zu verschwinden, da man nach seinem Leben trachte. Er will jedoch nicht, ihre Liebe berausche ihn zu sehr. Doch er bekennt ihr seinen Verzicht, will von ihr – unter bedrohlich klingenden Tönen der Bratschen – nur noch Abschied nehmen. Da schlägt Renato zu und erdolcht Riccardo. Entsetzen in der Menge!
Mit letzter Kraft legt der tödlich verletzte Graf vor allen sein Bekenntnis ab: Ja, er habe diese Frau geliebt, doch habe diese Liebe die Ehre Renatos und das Herz Amelias unverletzt gelassen. Zu spät erkennt der Ehemann und Freund „l’infausto error“ – seinen verhängnisvollen Irrtum. Der Augenblick des Abschieds und des Sterbens Riccardos ist wieder in diesem unheimlichen Tanz-Rhythmus gehalten, ein genialer Einfall Verdis, weil so bis zum Schluss die Bedrohung der Liebe und des Lebens hinter den Masken des Scheins hörbar bleibt. „Notte d’orrore“ kommentiert der Chor: Welche Nacht des Schreckens!
Musik für den Liebesverrat
Für Renato, den sich betrogen und verraten glaubenden Ehemann Amelias, hat Verdi eine der grossen Bassbariton-Szenen der Operngeschichte geschrieben – das Rezitativ und die Arie „Eri tu“ – Du warst es, der diese Seele befleckte! Zu Beginn des letzten Aktes will sich Renato noch an Amelia rächen. Für ihre Schuld gebe es keine andere Sühne als den Tod! Doch allmählich wird ihm bewusst: Nicht Amelia ist die wahre Verbrecherin, sondern ihr Verführer, sein Freund Riccardo. Nur ein Dolch kann diesen Verrat rächen! Er ist es, der die Freude seiner Seele befleckt, der ihm das ganze Universum vergiftet hat. Belohnt man so die Treue eines Freundes?
Der erste Teil von Renatos Arie ist Wut und Hass, ja geradezu Verzweiflung darüber, wozu ein Freund fähig zu sein scheint. Doch dann verwandelt sich die Musik in endlose Trauer über eine verlorene und nie wiederkehrende Liebe. „O dolcezze perdute, o speranze d’amor“: so erschütternd weiche, von Harfe und Flöten umspielte Töne für die Erfahrung, dass Liebe vergeht und Hoffnungen sich in nichts auflösen, hat Verdi vielleicht nur noch für den klagenden Schmerz über verlorene Liebe bei Desdemona in seinem „Otello“ gefunden.
Hier der Link zur einer Konzertaufnahme von „Eri tu...“ mit dem grandiosen Dmitri Hvorostovsky